Corinna oder Italien
Viertes Buch: Rom
Drittes Kapitel
Um nach der Peterskirche zu gelangen, muß man über die Engelsbrücke; Corinna und Lord Nelvil machten hier einen kurzen Halt. »Auf dieser Brücke«, sagte Oswald, »habe ich, als ich vom Kapitol kam, zum ersten Mal lange an Sie gedacht.« – »Ich wähnte nicht, daß meine Krönung mir einen Freund gewinnen werde, wenn ich auch sonst immer hoffe, mit dem Ruhm auch Liebe zu ernten, Was nützte er, ohne diese Hoffnung, wenigstens den Frauen!« – »Verweilen wir hier noch einige Augenblicke«, sagte Oswald. »Wo ist unter all diesen großen Erinnerungen eine, die meinem Herzen diese Stelle aufwöge, diese Stelle, welche mir den Tag zurückruft, an dem ich Sie zum ersten Male sah?« – »Mir scheint«, sagte Corinna, »daß man durch gemeinsames Bewundern von Denkmalen, die mit wahrhafter Größe zu uns reden, einander theurer wird. Die Bauwerke Roms sind weder kalt noch stumm; das Genie hat sie geschaffen, denkwürdige Ereignisse sie geheiligt, und erst, wenn man liebt, – einen Charakter liebt, wie den Ihren, Oswald, – wird man fähig sein, die Größe und Herrlichkeit des Weltalls recht eigentlich zu erkennen.« – »Ja«, entgegnete Oswald, »doch wenn ich Ihre Summe höre, bedarf ich keiner andern Wunder mehr.« Corinna dankte ihm mit einem Lächeln voller Lieblichkeit.
Auf dem Wege zur Peterskirche blieben sie vor der Engelsburg stehen. »Das Aeußere dieser Burg«, sagte Corinna, »hat von allen hiesigen Bauwerken die meiste Originalität; dieses von den Gothen zu einer Festung umgeschaffene Grabmal Hadrians trägt den Stempel beider Bestimmungen. Einem Todten errichtet, und ganz aus undurchdringlichen Mauern gebildet, haben die Lebenden denselben durch äußere Fortifikationen, welche zu dem Schweigen und der stolzen Zwecklosigkeit eines Mausoleums in starkem Widerspruch stehen, doch noch etwas Feindliches beigefügt. Auf seiner höchsten Spitze steht ein bronzener Engel mit nacktem Schwert.[1] Im Innern hat man grausame Gefängnisse eingerichtet. Von Hadrian bis auf unsere Tage knüpfen alle Ereignisse der römischen Geschichte an dieses Denkmal an. Belisar vertheidigte sich hier gegen die Gothen und schleuderte, fast ebenso barbarisch als seine Belagerer, die schönsten Statuen, welche das Innere des Grabmals schmückten, auf den Feind hinab. Crescentius, Arnold von Brescia, Nikolaus Rienzi,[2] welche Alle aus des Vaterlandes großen Erinnerungen neue Hoffnungen schöpften, vertheidigten sich lange in diesem Kaisergrabe. Ich liebe diese Steine, die so viel ruhmreiche Thaten gesehen. Ich liebe auch ein großartiges Grabmal, diesen Luxus eines Weltbeherrschers. Es ist etwas Kühnes in dem Manne, der, im Besitze alles Genusses, aller irdischen Größe, es nicht scheut, sich lange vorher mit seinem Tode zu beschäftigen. Erhabenes Denken, selbstloses Fühlen zieht in die Seele ein, sobald sie über die Schranken dieses Lebens sich erhebt.«
»Von hier aus«, fuhr Corinna fort, »sollte man die Peterskirche schon sehen, bis hierher sich ihr Säulenvorhof erstrecken, so war der stolze Plan Michel Angelo's. Er hoffte, daß man nach ihm wenigstens es so vollenden werde; doch die Menschen aus unserer Zeit denken nicht mehr an die Nachwelt. Als man zuerst die Begeisterung ins Lächerliche zog, hat man Alles zerstört, ausgenommen das Geld und die Gewalt.« – »Sie, Corinna, werden eine neue Begeisterung schaffen«, rief Lord Nelvil. »Wem ward je ein Glück, wie ich's erfahre? Rom, mir von Ihnen gezeigt! Rom, von genialer und künstlerischer Einsicht mir gedeutet! –
»Eine Welt zwar bist du, o Rom; doch ohne die Liebe
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom.«[3]
»Ach Corinna, was kann diesen Tagen folgen, die glücklicher sind, als mein Schicksal und das Gewissen es gestatten wollen?« – Corinna antwortete sanft: »Alle wahrhaftige Liebe kommt vom Himmel, Oswald; warum sollte er nicht begünstigen, was er uns gegeben? Sein ist das Recht, über uns zu bestimmen.«
Und nun zeigte sich ihnen der Dom von St. Peter, dieses größeste von Menschen errichtete Bauwerk; denn selbst die Pyramiden Egyptens sind ihm an Höhe unterthan. »Ich hätte Ihnen vielleicht das Schönste zuletzt zeigen müssen«, sagte Corinna, »aber das ist nicht mein System. Mir scheint vielmehr, daß man, um das Gefühl für die schönen Künste zu wecken, mit Gegenständen anfangen muß, welche die tiefste und nachhaltigste Bewunderung erregen. Wurde diese nur erst einmal empfunden, dann bahnte sie gewissermaßen den Weg zu neuen Gedankensphären an, und befähigt, Alles das fortan zu schätzen und zu beurteilen, was, selbst wenn es von geringerer Art ist, doch immer den zuerst empfangenen Eindruck nur wiederholt und vertieft. All diese berechneten Steigerungen, all dieses methodische, stufenweise Verfahren, um einen großen Eindruck zu erzielen, sind nicht nach meinem Sinn. Man gelangt nicht stufenweise zum Erhabenen; denn selbst von dem Schönen wird es noch durch eine unendliche Kluft geschieden.« Oswald war in außerordentlicher Bewegung, als er jetzt vor der Peterskirche stand. Zum ersten Mal wirkte ein Menschenwerk auf ihn wie die Wunder der Natur. In der Gegenwart ist es das einzige Kunstwerk, das eine Größe aufweiset, wie sie sonst nur den unmittelbaren Werken der Schöpfung eigen ist. Corinna erfreute sich an Oswalds staunender Bewunderung. – »Ich habe einen Tag gewählt«, sagte sie, »wo die Sonne in ihrem vollsten Glanz über diesem Wunderbau steht; und ich behalte Ihnen nun noch den poetischeren Genuß vor, ihn im Mondenschein zu betrachten; aber zuerst müssen Sie diesem Allerfeierlichsten gegenüber gestanden haben: der Verklärung des menschlichen Genius durch die Herrlichkeit der Natur.«
Der Platz vor der Peterskirche ist von Säulen eingeschlossen, die in der Ferne schlank erscheinen, aber recht massiv in der Nähe sind. Das bis zum Portikus der Kirche allmählig aufsteigende Erdreich erhöht noch die Wirkung. Auf der Mitte des Platzes steht ein Obelisk von achtzig Fuß Höhe, welcher aber natürlich dieser Riesenkuppel gegenüber fast verschwindet. Die Gestalt der Obelisken hat etwas die Einbildung sehr Anregendes; ihre Spitze verliert sich in die Lüfte und scheint einen großen Menschengedanken gen Himmel zu tragen. Dieses Monument, das von Egypten kam, um die Bäder Caligula's zu schmücken, und das Sixtus der Fünfte später am Fuße des Doms von St. Peter aufstellen ließ, stößt als Zeitgenosse so vieler Jahrhunderte, die alle nichts über ihn vermochten, ein Gefühl der Ehrfurcht ein: der Mensch fühlt sich vorübergehen, und darum steht er erschüttert vor dem Unwandelbaren. Zu beiden Seiten der Obelisken erheben sich in einiger Entfernung zwei Springbrunnen, deren Wasser fortdauernd sprudelt, und in schäumendem Reichthum steigt und fällt. Ihr Wellengemurmel, wie man es sonst nur in freier Gegend zu hören gewohnt ist, bringt in solchem Umkreis eine ganz eigentümliche Wirkung hervor, die im vollen Einklang mit der Stimmung ist, welche die Majestät dieses Tempels in dem Beschauer hervorruft.
Die Malerei und die Bildhauerkunst erwecken, da sie meistens die menschliche Gestalt, oder einen in der Natur fertigen Gegenstand nachbilden, vollkommen klare und bestimmte Vorstellungen in uns; dagegen hat ein schönes Denkmal der Architektur, so zu sagen, keine festgesetzte Bedeutung, und man verliert sich bei seiner Betrachtung in eine ziel- und planlose Träumerei, welche die Gedanken oft sehr weit hinwegführt. Das Rauschen der Wasser entspricht all diesen unbestimmten, und doch tiefen Eindrücken; es ist so einförmig, wie das Bauwerk regelmäßig ist.
Ewige Bewegung und ewige Ruhe sind auf diese Weise einander nahe gebracht. Hier scheint's, als habe die Zeit ihre Macht verloren, denn sie läßt so wenig die üppigen Quellen versiegen, als sie jene unbeweglichen Steine erschüttert. Die Wassergarben, welche sich aus diesen Fontainen emporschwingen, sind so leicht und wolkig, daß an schönen Tagen die Sonnenstrahlen mit ihnen kleine, aus den schönsten Farben gebildete Regenbogen erzeugen.
»Verweilen Sie noch«, sagte Corinna zu Lord Nelvil, als sie schon unter dem Portal der Kirche standen, »zögern Sie noch, ehe Sie des Tempels Vorhang heben. Klopft Ihnen nicht das Herz, da Sie sich nun diesem Heiligthume nähern? und empfinden Sie in diesem Augenblick des Eintretens nicht etwas, gleich der Erwartung eines feierlichen Ereignisses?« – Corinna hob selbst den Vorhang auf und hielt ihn weit zurück, um Lord Nelvil vorüberschreiten zu lassen; sie zeigte sehr viel Anmuth in dieser Stellung und sein erster Blick verlor sich nur in ihrem Anschauen. Endlich trat er ein. Diese unermeßlichen Gewölbe machten einen überwältigenden Eindruck; es war ihm, als verlöre er unter ihnen selbst das Bewußtsein seiner Liebe. Er schritt langsam neben Corinna her; Beide schwiegen. Hier gebietet Alles Stillschweigen: das leiseste Geräusch hallt so weit nach, daß keine menschliche Rede würdig erscheint, hier in dieser Wohnung des Ewigen wiederholt zu werden. Nur das Gebet, nur des Unglücks Klagelaut, aus wie schwacher Brust er auch dringen möge, darf durch diese weiten Räume zittern. Und wenn der schwanke Fuß eines Greises sich über den schönen, von so viel Thränen geweihten Marmor schleppt, fühlt man, daß der Mensch eben durch diese Gebrechlichkeit seines Wesens, die seine göttliche Seele so vielem Leid unterwirft, Ehrfurcht gebietend wird, und daß in dem Cultus des Schmerzes, dem Christenthum, das wahre Geheimniß von des Menschen Erdenwallen enthalten ist.
Corinna unterbrach Oswalds Träumerei: »In England und Deutschland sahen Sie gothische Kirchen und Sie werden bemerkt haben, wie viel weniger heiter ihr Charakter ist, als dieser. Es liegt in dem Katholicismus der nordischen Völker etwas Mystisches. Der unsere spricht durch sinnliche Pracht zur Einbildungskraft. Michel Angelo sagte von der Kuppel des Pantheons: »Ich werde sie in die Lüfte stellen«; und wirklich ist St. Peter ein Tempel, der sich auf einer Kirche erhebt. In der Wirkung, welche das Innere dieses Doms hervorbringt, findet gewissermaßen eine Vermählung des Alterthums mit der christlichen Religion statt. Ich komme oft hieher, um die heitre Seelenruhe wieder zu gewinnen, die mir bisweilen verloren geht; denn der Anblick eines solchen Gebäudes ist gleich einer fortdauernden festlichen Musik, die immer bereit ist, uns wohlthätig zu beruhigen, sobald wir uns ihr nähern. Gewiß, man muß die Geduld unserer Kirchenfürsten, die Jahrhunderte lang so viel Geld und Arbeit an die Vollendung eines Werkes setzten, dessen sie sich zu erfreuen nicht hoffen konnten, unter die Ruhmesansprüche unserer Nation zählen;[4] es ist sogar in sittlichem Sinne verdienstlich, das Volk mit einem Denkmale zu bereichern, welches das Sinnbild so vieler edler und großherziger Anschauungen ist.« – »Ja«, erwiderte Oswald, »hier herrscht die Kunst in ihrer ganzen Größe, und ihre Schöpfungen sind voll, des höchsten Geistes, aber die Würde des Menschen selbst, wie ist hier für sie gesorgt? Welche Institutionen! Welche Schwachheit in den meisten der italienischen Regierungen! Und obwohl so schwach, wie knechten sie die Geister!« – »Andere Völker«, unterbrach Corinna, »haben das Joch, wie wir, getragen, und hatten dazu keine Einbildungskraft, die sich wenigstens ein anderes Schicksal träumt:
Servi siam, si, ma servi ognor frementi.
»Sklaven sind wir, ja, doch stets nur knirschende Sklaven«, sagt Alfieri, der stolzeste unserer modernen Schriftsteller. In den schönen Künsten ist hier so viel Seelentiefe, daß einst unser Charakter vielleicht unserm Genius gleichkommen wird.«
»Sehen Sie«, fuhr Corinna fort, »diese Standbilder auf den Gräbern, diese Gemälde in Mosaik, mühevolle und treue Nachbildungen der Meisterwerke großer Künstler. Ich zerlege mir indessen nicht gern die Peterskirche in Einzelnes, weil ich grade hier diesen vielfachen überreichen Schmuck nicht liebe, der leicht den Gesammteindruck zerstört. Wie groß also muß ein Denkmal sein, wo die Meisterwerke des menschlichen Geistes wie überflüssiger Zierrath erscheinen. Dieser Tempel ist eine Welt für sich. Man findet hier eine Zufluchtsstätte gegen Kälte und Hitze. Er hat seine eigenen Jahreszeiten, seinen ewigen Frühling, welchen die Luft von draußen niemals beeinflußt. Eine unterirdische Kirche liegt unter seinem Vorhof. Die Päpste, und mehrere Beherrscher fremder Länder sind dort beigesetzt: Christine von Schweden, auch die Stuarts, seit ihre Dynastie gestürzt wurde; Rom ist lange schon ein Asyl für alle Verbannten der Welt; ist es doch selber entthront! Sein Anblick tröstet die verstoßenen Könige.
Cadono le città, cadono i regni
E l'uom, d'esser mortal par che si sdegni!«
Es fallen Städte, es stürzen Reiche, und der Mensch erzürnet sich, sterblich zu sein!
»Treten Sie hieher«, sagte Corinna, »hier neben den Altar mitten unter die Kuppel; Sie können durch das eiserne Gitter die, unter unseren Füßen liegende, Kirche der Todten sehen, und wenn Sie nun das Auge aufschlagen, vermag Ihr Blick kaum die Spitze des Gewölbes zu erreichen. Diese Höhe erregt, selbst wenn man von unten hinauf schaut, ein Gefühl des Schreckens. Man glaubt über seinem Haupte hängende Abgründe zu erblicken. Alles, was ein gewisses Maß überschreitet, verursacht dem beschränkten Wesen des Menschen unüberwindliche Scheu. Was wir kennen, ist im Grunde ebenso unerklärt, als das Unbekannte; nur daß wir an das alltägliche Dunkel gewohnt sind, wenn ich so sagen darf, während neue Geheimnisse uns erschrecken, und Verwirrung in unsere Fähigkeiten bringen.
»Die ganze Kirche ist mit antikem Marmor geschmückt; ihre Steine wissen über die verflossenen Jahrhunderte wahrlich mehr als wir. Hier ist die Statue des Jupiter, aus welcher man einen Petrus machte, indem man sein Haupt mit einem Heiligenschein umgab. Der allgemeine Charakter dieses Tempels drückt vollkommen ersichtlich die Vermischung der düstern Glaubenslehre mit glänzendem Formenwesen aus: in den Vorstellungen ein Zug von Trauer, doch in der Anwendung die milde Nachsicht und Lebhaftigkeit des Südens; strenges Meinen, aber bequeme Auslegungen; die christliche Religionslehre, und die Bilder des Heidenthums; endlich die bewunderungswürdigste Vereinigung von Geräusch und Majestät, welche der Mensch in seinem Gottesdienste aufzuwenden vermag.
»Die mit allen Wundern der Kunst gezierten Gräber stellen den Tod nicht fürchterlich dar. Zwar sind sie nicht wie bei den Alten, welche auf den Sarkophagen Tänze und Spiele abbildeten; indeß wird hier doch der Gedanke durch die Meisterwerke des Genie's von düstrer Betrachtung abgezogen. Am Altare des Todes sogar erinnert uns hier die Kunst an die Unsterblichkeit, und unsere durch die Bewunderung hochgestimmte Fantasie hat nicht, wie im Norden, zu leiden durch Schweigen und Kälte, diese strengen Hüter des Grabes!« – »Wir«, sagte Oswald, »wir wollen allerdings, daß Trauer den Tod umgebe; und noch ehe das Licht des Christenthums uns leuchtete, stellt die Mythe, stellt Ossian nur Wehklage und Todtengesang neben die Gruft. Ihr hier wollt vergessen und genießen, ich aber weiß nicht, ob ich wünschen könnte, daß Euer schöner Himmel mir diese Wohlthat erzeige.«
»Glauben Sie indessen ja nicht«, begann Corinna wieder, »daß unser Gemüth leer, unsere Denkart oberflächlich sei. Nur Eitelkeit macht gehaltlos; die Sorglosigkeit schiebt wohl Zwischenräume von Schlaf und Vergessen in das Leben, doch verbraucht sie weder das Herz, noch läßt sie es absterben; und zum Unglück für uns, können wir aus diesem Zustande durch Leidenschaften gerissen werden, welche oft tiefer und furchtbarer sind, als die eines stets gleichmäßig thätigen Menschen.«
Während ihrer Rede näherten sie sich dem Ausgange der Kirche. »Noch einen letzten Blick über dies großartige Heiligthum!« sagte sie: »Sehen Sie, wie wenig der Mensch ist im Angesichte der Religion, selbst dann, wenn wir uns darauf beschränken, ihr körperliches Sinnbild zu betrachten! Sehen Sie, welche Ruhe, welche Dauer die Sterblichen ihren Werken geben können, während sie selbst so schnell vorübergleiten, und nur durch ihren Genius weiter leben! Dieser Tempel ist ein Bild des Unendlichen; sie haben kein Ende, kein Ziel, diese Empfindungen, die er wachruft, diese Gedanken, welche er eingiebt, diese endlose Reihe von Jahren, welche er vor die Betrachtung zieht, sei es nun, daß man in die Vergangenheit zurück, oder hinaus in die Zukunft blicke; und wenn man seinen heiligen Umkreis verläßt, so ist es, als ob man von himmlischer Andacht zum niedern Weltinteresse, aus heiliger Ewigkeit in die leichtbewegliche Atmosphäre des Zeitlichen hinunterschreite.«
Als sie hinangetreten waren, machte Corinna Lord Nelvil auf die Reliefs der Kirchenthüren aufmerksam; sie stellen die Metamorphosen Ovids dar. »Wenn die Kunst sie weihte«, sagte sie, »nimmt man hier in Rom an den Sinnbildern des Heidenthums kein Aergerniß; die Wunder des Geistes erheben uns immer, und wir huldigen dem christlichen Cultus auch mit Meisterwerken, deren Vollbringung durch andere Gottesverehrungen angeregt ward.« – Oswald lächelte zu dieser Erklärung. – »Glauben Sie mir, Mylord«, versicherte Corinna, »es giebt viel zuverlässige Aufrichtigkeit in den Gefühlen eines Volkes, dessen Einbildungskraft so lebhaft ist. Doch genug für heute; falls Sie es wollen, führe ich Sie morgen nach dem Kapitol. Ich habe Ihnen noch verschiedene Streifereien durch das, Alterthum vorzuschlagen, und wenn wir damit fertig sind, werden Sie dann abreisen? Werden Sie....« Sie hielt inne, fürchtend, daß sie schon zu viel gesagt. »Nein, Corinna«, erwiderte Oswald, »ich werde dem Glücke nicht entsagen, das wohl ein schützender Engel aus des Himmels Höhen auf mich herabgesendet hat.«
[1] Anmerkung der Autorin: In dem letzten Kriege commandirte ein Franzose in der Engelsburg; die neapolitanischen Truppen forderten ihn zur Uebergabe auf; er antwortete, er würde sich ergeben, wenn der Engel von Bronze sein Schwert in die Scheide stecke.
[2] Anmerkung der Autorin: Diese Facta sind in der »Geschichte der italienischen Republiken des Mittelalters« von Gimonde de Gismondi, einem Genfer, zu finden. Der Autor darf wegen seines großen Scharfsinnes, seiner ebenso gewissenhaften als kraftvollen Darstellung auch für eine Autorität angesehen werden.
[3] Anmerkung der Autorin: Diese Verse sind von Goethe.
[4] Anmerkung der Autorin: Die Peterskirche, sagt man, sei ein Hebel für die Reformation gewesen, denn sie kostete den Päpsten so viel Geld, daß diese, um sie zu erbauen, die Indulgenzen vermehren mußten.