Tarrare

* 00.00.1772 in der Nähe von Lyon
† in Versailles

Die genaue Herkunft von Tarrare, dessen wirklicher Name nicht überliefert ist, liegt im Dunkeln. Er wurde um das Jahr 1772 in einem ländlichen Gebiet nahe Lyon als Spross einer armen Familie geboren. Schon in seiner Kindheit soll er durch einen extremen Appetit aufgefallen sein: Er konnte in kurzer Zeit unglaubliche Mengen an Nahrung verzehren, war jedoch stets dürr und untergewichtig. Da seine Familie zu arm war, um ihn angemessen zu versorgen, verstieß sie ihn bereits im Jugendalter.  Er suchte sein Auskommen in Schaustellergruppen und Wanderzirkussen.  Dort trat er u.a. als »Menschlicher Staubsauger« oder »Allesfresser« auf.

Während der Französischen Revolutionskriege trat Tarrare in die Armee ein, wohl um Nahrung und Obdach zu erhalten. Doch sein krankhafter Appetit, gepaart mit ständiger Erschöpfung, brachte ihn bald in Kontakt mit Militärärzten. In elsässischen Soultz-Haut-Rhin wurde er schließlich dem Hôpital militaire übergeben.

So geriet er  unter anderem an die Militär-Chirurgen Dr. Pierre-François Percy und Dr. Courville.

Sie untersuchten und dokumentierten, dass Tarrare täglich ein Vielfaches der üblichen Rationen benötigte, Tierkadaver verschlang, Müll durchwühlte und gelegentlich sogar Menschenfleisch gegessen haben soll. Sein Körperbau war dürr, schwächlich, mit auffällig weicher, schlaffer Haut. Er schwitzte ununterbrochen, roch stark faulig und litt vermutlich an einer extremen Form von Polyphagie – möglicherweise ausgelöst durch eine neurologische Störung, hormonelle Dysfunktion (Verdacht auf Hyperthyreose oder Leptinresistenz) oder auch Parasitenbefall.

Im Jahr 1793 wurde Tarrare für eine geheime Mission durch die französische Armee eingesetzt: Er sollte eine Botschaft im Bauch versteckt über feindliches Gebiet hinweg transportieren. Die Mission scheiterte – Tarrare wurde von preußischen Truppen gefangen genommen, gefoltert und schließlich wieder freigelassen. Auch diese Episode wurde von Percy später dokumentiert.

Nach seiner Rückkehr kehrte Tarrare ins Militärkrankenhaus zurück, wo man versuchte, ihn zu heilen, u.a. mit Tabak, Essig und Laudanum – allesamt erfolglos. Schließlich wurde er entlassen.

Kurze Zeit später kam es zu einem Skandal: Ein kleines Kind verschwand im Krankenhaus. Der Verdacht fiel sofort auf Tarrare, der das Spital daraufhin fluchtartig verließ. Ein endgültiger Beweis für seine Schuld wurde nie erbracht, doch sein Ruf war unwiderruflich zerstört.

Tarrare starb vermutlich im Jahre 1798, also im Alter von etwa 26 Jahren, in Versailles. Als Todesursache wird eine Tuberkulose oder Peritonitis angenommen. Dr. Percy, der ihn noch einmal kurz vor seinem Tod untersuchte, organisierte eine Obduktion. Dabei wurden abnorme Erweiterungen von Speiseröhre und Magen, ein übergroßes Lebervolumen und Verfärbungen des Magengewebes festgestellt – Hinweise auf eine seltene, schwerwiegende Stoffwechselkrankheit oder neurologische Störung.

Tarrares Fall wurde von Percy in medizinischen Berichten dokumentiert und in verschiedenen zeitgenössischen und späteren Werken als extremes Beispiel menschlicher Anomalie rezipiert. Heute gilt er als medizinhistorische Kuriosität, ein Phänomen zwischen Legende und dokumentierter Pathologie. Er taucht bis heute in medizinischen Diskussionen zu Stoffwechselkrankheiten, Essstörungen und neurologischen Syndromen auf.

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